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Vortrag/Diskussion am 19.04. im Gasthaus Küker

Vortrag/Diskussion am 19.04.2022 im Gasthaus Küker

mit Sabrina Koster, Sozialpädagogin im Wunstorfer „Tagestreff für Wohnungslose“

Wie lebendig ein Informations-Nachmittag sein kann, zeigte die Sozialpädagogin Sabrina Koster in ihrem locker und frisch vorgetragenen Mix an interessanten und vielschichtigen Informationen zum Treffpunkt für Wohnungslose in Wunstorf. Dass sich im Anschluss eine regelrechte, alle mitreißende Diskussions- und Fragerunde entwickelte, überraschte nicht nur in sehr angenehmer Weise die Teilnehmer*innen, sondern zog  auch Frau Köster in ihren Bann.

Im Tagestreff, der 1988 gegründet wurde, werden ca. 20 Obdachlose betreut und unterstützt. Hier können sie duschen, essen, Wäsche waschen und einfach mal zur Ruhe kommen. Zweimal wöchentlich kommt eine Krankenschwester für ca. 5 - 6 Stunden in den Tagestreff, um die Hilfesuchenden bei Bedarf zu beraten und teilweise auch zu behandeln bzw. zu versorgen. Dieses Angebot wird über Spenden und Fördermittel finanziert.

Die Zeit verging wie im Fluge, sodass Frau Koster Tage später auf telefonische Nachfrage der 1. Vorsitzenden Ralfina Rasching noch einige Informationspunkte detailliert schriftlich ergänzte:

„Wie kann Wohnungslosigkeit entstehen?
Im Vorfeld muss betont werden: Nur selten treffen Menschen freiwillig die Entscheidung, in Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit zu leben. Oftmals geht dieser Lebenswelt eine akute (psychische) Krisensituation voraus, die eine Person dann unverschuldet in eine Abwärtsspirale reißen kann.

Ein leider klassisches Fallbeispiel ist folgendes: Ein (Ehe-)Paar lebt in einer gemeinsamen Wohnung. Aus betrieblichen/wirtschaftlichen Gründen verliert der Mann seine Arbeitsstelle. Der Frust hierüber ist groß - gelegentlich trinkt der Mann Alkohol, um seine Verzweiflung zu betäuben. Auch die Streitigkeiten zwischen dem Paar verstärken sich - bis sich die Frau dazu entschließt, den Mann buchstäblich "auf die Straße" zu setzen. Wenn der Mann nun nicht auf ein stabiles, soziales Netzwerk wie Familie, Freunde etc. zurückgreifen kann, kann dies oftmals den ersten Schritt in den "freien Fall" bedeuten.

Ein ganz konkretes Fallbeispiel aus der Praxis: Vor etwa 25 Jahren hatte ein Mann bei einem Autounfall seine Frau und sein kleines Kind verloren. Dieser Schicksalsschlag hat ihm psychisch derart zugesetzt, dass er sich niemals davon erholt hat - auch er lebt bereits seit Jahren ohne festen Wohnsitz.

Wie hoch ist der Frauenanteil?
In einer Großstadt wie Hannover beispielsweise liegt der Frauenanteil bei ca. 20%.

Hier in Wunstorf gestaltet es sich etwas anders: Im Allgemeinen läuft Wohnungs-/Obdachlosigkeit bei Frauen etwas anders ab als bei Männern. Da Frauen oftmals über gut ausgebaute Strukturen eines sozialen Netzwerkes verfügen, kommen sie nach Wohnungsverlust eher noch bei Freunden/Bekannten/

Verwandten unter. Daher ist es schwierig, eine konkrete Angabe zu dieser sog. verdeckten Wohnungslosigkeit zu machen.

Wie gestaltet sich die lokale Wohnungsmarktsituation?
Das Klientel des Tagestreffs Wunstorf besteht vorwiegend aus alleinstehenden wohnungslosen Menschen. Viele erhalten Leistungen über das JobCenter in Form von Arbeitslosengeld II. Auf dieser Grundlage gibt es klare Richtlinien bezügl. der Anmietung einer Wohnung: Für eine Person sieht das JobCenter in Wunstorf eine Wohnungsgröße von max. 50 qm sowie einer Kaltmiete von 372,00 € vor.

Spätestens seit 2015 ist der Wohnungsmarkt - in ganz Deutschland - jedoch zunehmend angespannt, sodass es nahezu unmöglich ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Möglichkeiten gibt es ebenfalls über sozial geförderten Wohnraum. Der größte Anbieter Wunstorfs - der Bauverein - hat jedoch eine Warteliste und der Bestand an sog. "B-Schein-Wohnungen" wird zunehmend geringer.

Insgesamt ist es wichtig zu wissen, dass nicht jeder obdachlose Mensch den Wunsch hat, eine Wohnung zu beziehen. Einige machen seit über 20, 30 Jahren "Platte" (schlafen draußen), sodass der Gedanke an eine Wohnung auch etwas Beängstigendes haben kann. Daher versuchen wir, jeden Menschen dort abzuholen, wo er steht - ohne ihm Unterstützung überzustülpen, die er vielleicht gar nicht haben möchte. Eine adäquate Beratung über Möglichkeiten und Grenzen unserer Arbeit, abgestimmt mit den Wünschen und Bedürfnissen eines jeden einzelnen Besuchers, ist die Voraussetzung für diesen sensiblen Bereich der Sozialarbeit.“